Moritz Schlick an Albert Einstein

Rostock, 13. 3. 20

Orléansstr. 23

Verehrter, lieber Herr Professor,

Allerherzlichsten Dank für Ihre gütigen Zeilen, die ich vor etwa 14 Tagen erhielt, und besonders dafür, dass Sie sich meinetwegen nach Zürich gewandt haben. Wenn dort überhaupt eine Möglichkeit für mich besteht, so bin ich überzeugt, dass damit der denkbar grösste Schritt zu ihrer Realisierung getan ist. Ich habe nichts darüber gehört, ob Medicus geht oder bleibt. In Deutschland ist meines Wissens zur Zeit keine Lehrstelle frei, abgesehen, wenn ich nicht irre, von einem Extraordinariat in Marburg, und dort, in der Hochburg des Neukantianismus, habe ich wohl nicht die geringste Aussicht. Die Zahl der philosophischen Ordinarien, die für eine Philosophie wie die meine eintreten, ist ja nicht gross. Aber einige gibt es doch; unter ihnen z.B. Erdmann, der sich bei jeder Gelegenheit für mich eingesetzt hat.

Nun habe ich noch etwas auf dem Herzen. Wie Sie wissen, ist der kleine Konflikt, den Sie mit der Berliner Studentenschaft hatten, in den Zeitungen ganz schief dargestellt worden, und dies soll auch ganz besonders in den Rostocker Zeitungen der Fall gewesen sein (ich habe es freilich dort nicht selbst gelesen, da ich damals gerade auf Volkshochschulreisen unterwegs war). Wäre nicht eine kleine Berichtigung angebracht? Vielleicht möchte es wünschenswert sein, wenigstens der Ausbildung einer falschen Meinung bei den hiesigen Studenten entgegenzuwirken? Dies letztere meint besonders Frau Katz, mit der ich hauptsächlich darüber gesprochen habe (Sie erinnern sich wohl noch der aus Odessa stammenden Dame, die Sie eines Nachmittags bei uns kennen lernten?). Nur für den Fall, dass Sie es für nützlich halten, etwas in der angedeuteten Richtung zu tun, möchte ich Sie bitten, mir in ein paar Zeilen einen Wink zu geben, was etwa in einer kurzen Zeitungsnotiz zu sagen wäre. Oder möchten Sie vieleicht, dass ich der jüdischen Studentenverbindung, die wir damals besuchten, eine kleine Mitteilung zugehen lasse? Ich komme mit der Sache wohl ein wenig post festum; aber die unaufhörlichen Landreisen haben mich an vielen Dingen gehindert.

Gegen Ende des Monats soll ich einen Vortrag über die philosophische Bedeutung Ihrer Theorie in Düsseldorf halten, vielleicht auch in einigen anderen westdeutschen Städten. Gewiss verdanke ich diese ehrenvolle Einladung auch Ihrer Empfehlung. – Eine sehr grosse Freude war mir die Arbeit von Bachem und Grebe über die Linienverschiebung im Sonnenspektrum, besonders nachdem man in England schon den negativen Ausgang entsprechender Untersuchungen verkündet hatte. Herzlichsten Glückwunsch zu der neuen Bestätigung!

Das Eintreten Hänischs für die Lehrfreiheit im Falle Nicolai hat mich gefreut.

Mit den allerherzlichsten Wünschen für Ihr Wohlergehen, denen sich meine Frau und die Kinder anschliessen, begrüsst Sie in dankbarer Ergebenheit

Ihr M. Schlick

Eben kommt die Nachricht des Berliner Umsturzes. Die Freude der Herren von rechts wird nicht lange währen; aber das arme Deutschland ist sehr schlimm daran.