Bernstein, Aaron, Naturwissenschaftliche Volksbücher, Bd. 12-16, 1897
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            die gleiche lebenfördernde Ziele haben, doch verſchieden ſein
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            können.</s>
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            <s xml:id="echoid-s399" xml:space="preserve">Wie alſo viele Organe in ihrer Geſtaltung ein Pendeln
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            vertragen, ohne deshalb in ihrer Verrichtung eine Änderung
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            zu erfahren, ſo giebt es auch im Gebiete des Gedankens ſolche
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            Vorſtellungsweiſen, die von einander abweichen können, ohne
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            daß deshalb die aus ihnen eventuell folgenden Handlungen
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            lebenſtörend wirken.</s>
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            <s xml:id="echoid-s401" xml:space="preserve">Anders iſt es für die Erreichung vieler Ziele der Lebens-
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            verrichtung in beſtimmten andern Fällen; </s>
            <s xml:id="echoid-s402" xml:space="preserve">ſo iſt auf den
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            Gebieten, wo Zahl und Maß herrſchen, ein Pendeln meiſtens
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            nicht möglich: </s>
            <s xml:id="echoid-s403" xml:space="preserve">es iſt nicht gleichgültig für das Leben eines
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            Tieres, ob es die Breite einer zu überſpringenden tiefen
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            Felſenkluft richtig ſchätzt, oder ob es infolge falſcher Schätzung
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            die Füße auch nur um ein ganz Geringes zu früh aufſetzt, um in
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            dieſem Falle notwendig in die Tiefe zu ſtürzen. </s>
            <s xml:id="echoid-s404" xml:space="preserve">Die Sinne
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            müſſen hier, ſoll das Leben keinen Nachteil erleiden, die
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            Außenverhältuiſſe richtig beurteilen, denn falſche Beurteilungen
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            führen in ſolchen Fällen zum Verderben.</s>
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            <s xml:id="echoid-s406" xml:space="preserve">Die Verſtandeskräfte aber werden durch die Sinne gebildet,
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            und es müſſen Verſtaudesäußerungen bei allen Weſen dort
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            übereinſtimmen, wo eine falſche Beurteilung lebengefährdend
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            wirkt. </s>
            <s xml:id="echoid-s407" xml:space="preserve">Letzteres trifft aber u. </s>
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            <s xml:id="echoid-s409" xml:space="preserve">bei einer Nichtbefolgung
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            mathematiſcher Geſetze — ſofern ſie mit Handlungen in Bezie-
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            hung ſtehen — zu.</s>
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            <s xml:id="echoid-s411" xml:space="preserve">Die Mathematik iſt eine Erfahrungswiſſenſchaft: </s>
            <s xml:id="echoid-s412" xml:space="preserve">ſie benutzt
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            — von Thatſachen und einfachſten Handlungen (Bewegungen)
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            ausgehend — lange Gedankenketten (Schlüſſe), deren einzelne
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            Glieder einfache Erfahrungsgedanken ſind, und ſie kann eventuell
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            zum Schluſſe an der Natur experimentell prüfen, ob ſie richtig
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            gedacht (gerechnet) hat.</s>
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            <s xml:id="echoid-s414" xml:space="preserve">Scheinen uns die mathematiſchen Geſetze in unſerem Denken
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            auch ſelbſtverſtändlich, ſo ſind ſie wie die Denkformen </s>
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