Bernstein, Aaron, Naturwissenschaftliche Volksbücher, Bd. 12-16, 1897
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            und ſelbſt zu atmen vergeſſen, ſo iſt hierzu nicht nötig, die
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            direkte Einwirkung des Geiſtes auf den Leib anzunehmen,
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            ſondern wir können dies dem Umſtand zuſchreiben, daß das
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            Gehirn in ſolchen Momenten ſo eingenommen iſt von ſeiner
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            Gedankenfabrikation, daß es in ſeinem Leibesregiment eine
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            Pauſe machen muß. </s>
            <s xml:id="echoid-s643" xml:space="preserve">— In gleicher Weiſe läßt ſich’s erklären,
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            weshalb Verliebte keinen Hunger verſpüren, weshalb auch
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            Traurige körperlichen Schmerz nicht empfinden, weshalb eine
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            heitere Stunde ein leibliches Unwohlſein vergeſſen machen kann.</s>
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            <s xml:id="echoid-s645" xml:space="preserve">Anderer Art aber iſt das, was wir jetzt darzulegen haben,
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            denn hier iſt eine direkte Einwirkung des Geiſtes auf den Leib
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            unverkennbar, wenngleich auch dies höchſt wahrſcheinlich durch
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            Vermittelung des Gehirns und der Nerven geſchieht.</s>
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            <s xml:id="echoid-s647" xml:space="preserve">Wir haben in dem Abſchnitt über den Hypnotismus ge-
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            ſehen, daß Einbildungen Menſchen krank und auch wiederum
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            von wirklichen Übeln geſund machen können. </s>
            <s xml:id="echoid-s648" xml:space="preserve">Einbildungen ſind
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            aber unbegründete Vorſtellungen im Gehirn; </s>
            <s xml:id="echoid-s649" xml:space="preserve">wie und in welcher
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            Weiſe ſolche Vorſtellungen die leibliche Gehirnthätigkeit und
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            die Nervenzuſtände beherrſchen und ſelbſt auf Organe einwirken
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            können, die dem Willen der Menſchen gar nicht unterworfen
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            ſind, das iſt eine Frage, die noch keineswegs ganz klar be-
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            antwortet werden kann.</s>
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            <s xml:id="echoid-s651" xml:space="preserve">Man kann von den Medikamenten vieler einſichtigen Ärzte
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            ohne Übertreibung ſagen, daß mehr als Zweidrittel derſelben
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            durch bloße Einbildung wirken. </s>
            <s xml:id="echoid-s652" xml:space="preserve">Der Ausſpruch eines berühmten
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            Berliner Klinikers iſt bekannt, daß ein Arzt ſeine ſämtlichen
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            wirklichen Medikamente in der Weſtentaſche tragen könnte. </s>
            <s xml:id="echoid-s653" xml:space="preserve">Die
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            Einbildung reicher Patienten geht oft ſo weit, daß ſie wirklich
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            nur nach einer
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            Medizin geſund werden, und ſelbſt Arme
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            fühlen eine Beſſerung, wenn ſie für mehrere Groſchen ein ganz
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            beliebiges Tränkchen aus der Apotheke erhalten, das ſie ſich
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            womöglich zu Hauſe für ein paar Pfennige hätten ſelbſt zu-
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            ſammenſtellen können.</s>
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