Bernstein, Aaron, Naturwissenschaftliche Volksbücher, Bd. 12-16, 1897

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VIII. Eine ungelöſte Frage.
Die Geſetze des Denkens hier aufzuführen, würde uns zu
weit von unſerem eigentlichen Thema abbringen, obwohl ſie
demſelben keineswegs fremd ſind.
In der Lehre vom Leben
der Menſchen kann nur die eine Frage nicht umgangen werden,
ob es gewiſſe Denkgeſetze oder richtiger Denkanſchauungen giebt,
die dem Menſchen angeboren ſind?
oder ob alles, was der
Menſch von richtigen Anſchauungen beſitzt, ihm erſt durch Er-
fahrung zugekommen iſt?
Dieſe Frage iſt bisher nur eine Aufgabe der Philoſophie
geweſen.
Eine unparteiiſche Betrachtung der hauptſächlichſten
philoſophiſchen Syſteme von Ariſtoteles bis auf Kant lehrt, daß
gerade dieſe Frage von den Philoſophen mit außerordentlichem
Scharfſinn behandelt worden iſt und die Beobachtung jedes
denkenden Menſchen verdient.
Wenn wir uns in dieſer Frage eine Bemerkung erlauben
dürfen, ſo iſt ſie folgende.
Es ſcheint uns, als wenn bei allen Beantwortungen dieſer
Frage auf das Wort “angeboren” viel zu viel Wert gelegt,
mindeſtens ihm eine zu weit gehende Bedeutung gegeben worden
ſei.
— Es giebt eine Reihe von Anſchauungen, deren Ent-
ſtehung ſich unſern Beobachtungen nicht ſo ſehr entzieht, von
denen wir aber weder ſagen können, ſie ſeien angeboren, noch
zu behaupten vermögen, ſie ſeien durch Erfahrung allein ent-
ſtanden.
— In den Zeiten, wo der Knabe zum Jüngling, das
Mädchen zur Jungfrau wird, treten neue Anſchauungen über
das Geſchlechtsverhältnis auf, ſelbſt wo ſie niemand hierüber
belehrt hat.
Bei einer ſittlichen Erziehung kann man durchaus
nicht ſagen, daß ſie von außen her mehr erfahren, als ſie zur
Zeit der Unreife erfahren haben.
Gleichwohl wird ihre Phan-
taſie, das heißt die Denk- und Vorſtellungskraft ihres

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