Bernstein, Aaron, Naturwissenschaftliche Volksbücher, Bd. 6/11, 1897
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            <s xml:id="echoid-s8049" xml:space="preserve">Wir durchſchneiden nämlich an einem lebenden Tiere einen
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            Nerven und ſehen zu, welche Veränderungen in demjenigen
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            Körperteile eintreten, der von dem durchſchnittenen Nerven
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            verſorgt wird.</s>
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            <s xml:id="echoid-s8051" xml:space="preserve">Wir wählen als Opfer unſerer Wißbegierde einen Froſch,
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            der ſolche Operationen außerordentlich gut verträgt und deshalb
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            ſchon ſeit langer Zeit das Opferlamm der Phyſiologie iſt, und
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            durchſchneiden ihm denjenigen Nerven, welcher in das rechte
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            Hinterbein hineingeht. </s>
            <s xml:id="echoid-s8052" xml:space="preserve">Der operierte Froſch, nachdem wir ihn
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            freigelaſſen, ſucht mit gewaltigen Sprüngen den Händen ſeines
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            Peinigers zu entfliehen; </s>
            <s xml:id="echoid-s8053" xml:space="preserve">aber, ſiehe da, während er mit dem
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            linken Beine kräftig vom Boden abſtößt, verſagt das rechte
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            ſeinen Dienſt vollſtändig. </s>
            <s xml:id="echoid-s8054" xml:space="preserve">Auch nicht ein einziger Muskel
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            ſetzt ſich in Bewegung, um der Flucht ſeines Herrn zu Hülfe
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            zu kommen. </s>
            <s xml:id="echoid-s8055" xml:space="preserve">Vielmehr liegt das Bein ſchlaff da und wird
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            von dem hüpfenden Froſch wie ein toter Gegenſtand nach-
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            geſchleppt.</s>
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            <s xml:id="echoid-s8057" xml:space="preserve">Dieſe auffallende Erſcheinung, welche die Nervendurch-
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            ſchneidung hervorruft, giebt uns eine Vorſtellung von einer
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            wichtigen Leiſtung, welche dem Nerven im Körper auferlegt iſt.</s>
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            <s xml:id="echoid-s8059" xml:space="preserve">Ohne Zweifel hat nämlich der operierte Froſch ebenſo wie
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            vor der Operation den Willen, das rechte Bein in derſelben
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            Weiſe zu bewegen wie das linke. </s>
            <s xml:id="echoid-s8060" xml:space="preserve">Das rechte Bein aber
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            unterwirft ſich dieſem Befehle nicht mehr, ſondern bleibt
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            unbeweglich und es iſt daher klar, daß dieſer Befehl nicht in
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            dem Beine ſelber, ſonder außerhalb desſelben ſeinen Urſprung
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            haben muß. </s>
            <s xml:id="echoid-s8061" xml:space="preserve">Nun wiſſen wir, daß der Wille, der ſolche Befehle
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            austeilt, im Gehirn ſeinen Sitz hat, und wenn derſelbe zur
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            Ausführung kommen ſoll, was ja in den entfernteſten Teilen
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            des Körpers geſchieht, ſo muß auf irgend eine Weiſe der
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            Befehl dorthin überbracht werden. </s>
            <s xml:id="echoid-s8062" xml:space="preserve">Der bloße Wille des Tieres,
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            das Bein zu bewegen, genügt keineswegs, damit dies in
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            Wirklichkeit geſchehe, ebenſowenig wie der Wille des </s>
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