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oder beängſtigend iſt, ob ſie der Moral, der Tugend, dem
Wohlwollen unſeres Herzens und dem Wohlgefühl unſeres
Gemütes entſpricht oder nicht, das gilt der ſtrengen Wiſſenſchaft
gleich. Sie hat nur ein Ziel im Auge, die unwiderſprechliche
Wahrheit und nur einen Maßſtab, dieſe zu erkennen, den
mathematiſchen und logiſchen Beweis.
Wohlwollen unſeres Herzens und dem Wohlgefühl unſeres
Gemütes entſpricht oder nicht, das gilt der ſtrengen Wiſſenſchaft
gleich. Sie hat nur ein Ziel im Auge, die unwiderſprechliche
Wahrheit und nur einen Maßſtab, dieſe zu erkennen, den
mathematiſchen und logiſchen Beweis.
Daher iſt denn auch das Gebiet dieſer in aller Strenge
waltenden Wiſſenſchaft noch ſehr fern von dem weiten Umfang,
welchen unſer Wiſſen für ſich in Anſpruch nimmt. Religion,
Moral, Sitte, Recht, Geſetz, alles, was in Staat und Geſell-
ſchaft leitend in der Menſchheit waltet, liegt auf einem Gebiete,
welches die ſtrenge Wiſſenſchaft in Wahrheit noch nicht be-
herrſcht. — Der mathematiſchen Berechnung iſt es möglich, den
Lauf eines Geſtirnes auf Jahrtauſende hinaus zu beſtimmen;
aber dem Rechner iſt der Lauf ſeines eigenen Ich verſchloſſen.
Die Wiſſenſchaft dringt tief ins Weltall ein, um den Bewegungs-
geſetzen in den fernſten Regionen nachzuſpüren; aber was ein
Menſchenherz ſeeliſch bewegt, iſt ihr ein ungelöſtes Rätſel.
Es erſchließen ſich ihr die draußen in der Natur waltenden
Geſetze und Zuſtände, von welchen die frühere Menſchheit keine
Ahnung hatte; aber was ahnend in der Menſchenſeele waltet
und zum bindenden Geſetz des Lebens zwiſchen Menſch und
Menſchen ſeit Jahrtauſenden geworden iſt, dafür beſitzt die
ſtrenge Wiſſenſchaft kein Fernrohr, kein Vergrößerungsglas,
kein Spektroſkop und keinen Gradmeſſer. Sie übt Kritik an
den Mythen des Altertums und weiſt überzeugend nach, daß
ſie — ſoweit ſie die Naturerſcheinungen draußen betreffen —
auf irriger Anſchauung beruhen; aber für das thatſächliche,
dieſen Mythen entſproſſene Kulturleben der Menſchengeſchichte
hat ſie noch keinen Erſatz zu ſchaffen vermocht. Sie zerſtört
das Wunder, ſchwört den Glauben ab, widerſpricht der Auto-
rität, ſie hat die Hoffnung auf den Himmel, die Furcht vor
der Hölle vernichtet, ſie leugnet die Vorſehung und
waltenden Wiſſenſchaft noch ſehr fern von dem weiten Umfang,
welchen unſer Wiſſen für ſich in Anſpruch nimmt. Religion,
Moral, Sitte, Recht, Geſetz, alles, was in Staat und Geſell-
ſchaft leitend in der Menſchheit waltet, liegt auf einem Gebiete,
welches die ſtrenge Wiſſenſchaft in Wahrheit noch nicht be-
herrſcht. — Der mathematiſchen Berechnung iſt es möglich, den
Lauf eines Geſtirnes auf Jahrtauſende hinaus zu beſtimmen;
aber dem Rechner iſt der Lauf ſeines eigenen Ich verſchloſſen.
Die Wiſſenſchaft dringt tief ins Weltall ein, um den Bewegungs-
geſetzen in den fernſten Regionen nachzuſpüren; aber was ein
Menſchenherz ſeeliſch bewegt, iſt ihr ein ungelöſtes Rätſel.
Es erſchließen ſich ihr die draußen in der Natur waltenden
Geſetze und Zuſtände, von welchen die frühere Menſchheit keine
Ahnung hatte; aber was ahnend in der Menſchenſeele waltet
und zum bindenden Geſetz des Lebens zwiſchen Menſch und
Menſchen ſeit Jahrtauſenden geworden iſt, dafür beſitzt die
ſtrenge Wiſſenſchaft kein Fernrohr, kein Vergrößerungsglas,
kein Spektroſkop und keinen Gradmeſſer. Sie übt Kritik an
den Mythen des Altertums und weiſt überzeugend nach, daß
ſie — ſoweit ſie die Naturerſcheinungen draußen betreffen —
auf irriger Anſchauung beruhen; aber für das thatſächliche,
dieſen Mythen entſproſſene Kulturleben der Menſchengeſchichte
hat ſie noch keinen Erſatz zu ſchaffen vermocht. Sie zerſtört
das Wunder, ſchwört den Glauben ab, widerſpricht der Auto-
rität, ſie hat die Hoffnung auf den Himmel, die Furcht vor
der Hölle vernichtet, ſie leugnet die Vorſehung und