Bernstein, Aaron, Naturwissenschaftliche Volksbücher, Bd. 6/11, 1897

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73789 reif und drängt die Zeit zu einer Entſcheidung, dann — es iſt
eigentlich eine Schande, ſo etwas zu geſtehen — dann geht man
oft ſo weit, den Zufall oder gar das Loos entſcheiden zu laſſen!
Wer nicht Luſt hat, ſich ſelber zu belügen, der wird ein-
geſtehen, daß er oft in ähnlichen Lagen nicht beſſer gehandelt
hat, wenn man auch bemüht iſt, während dieſer Handlung
ſeine Schwäche hinter irgend einem Scherz, oder einem ge-
machten Grundſatz oder einer erfundenen Ausrede zu verbergen.
— Im Altertum war man ſo ſchamhaft nicht. Man ließ in
ſolchen Fällen das Los entſcheiden und beſchönigte es mit
dem Namen eines Gottesurteils;
jetzt läßt man das jüngſte
Kind ein Lotterielos ziehen, oder einen Würfel über Ja und
Nein den Ausſpruch thun.
Der Menſch iſt ſo gewöhnt, bei all’
ſeinem Thun nach einem Grund zu ſuchen, daß er, wo der
Verſtand ſchweigt, froh iſt, wenn ihm der Unverſtand einen
Scheingrund giebt.
Indeſſen gehört dieſer letztere ſehr beſchämende Fall nicht
@irekt in unſer Thema;
wir wollen zu der ſonderbaren Er-
ſcheinung zurückkehren, daß der Menſch beim ſogenannten
“Überlegen” ſeinen Geiſt gewiſſermaſſen in drei Teile ſpaltet.
Der Eine ſpricht für, der Andere gegen etwas, und der Dritte
ſtellt ſich wie ein Richter über Beide, um ſein Urteil zu fällen.
Die beſſeren juriſtiſchen Arbeiten und die vorzüglichern
dramatiſchen Dichtungen geben oft die herrlichſten Muſter ſolcher
höchſt wunderbaren geiſtigen Spiele.
— Im Kopfe eines vor-
züglichen juriſtiſchen Schriftſtellers ordnet ſich alles ſo, daß
man anfangs einſieht, wie die eine Partei vollkommen gerecht
iſt.
Sodann tritt die andere Partei auf und macht ihre An-
ſprüche in einer Weiſe geltend, welche die geiſtige Wage ganz
nach ihrer Seite hinneigt.
Endlich tritt der Juriſt ſelber auf,
zerſtört oft die Anſichten Beider und findet den richtigſten Aus-
ſpruch, der zwiſchen dem Wahren und dem Falſchen der ent-
gegenſtehenden Parteien die treffende Entſcheidung bringt.

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