Bernstein, Aaron, Naturwissenschaftliche Volksbücher, Bd. 12-16, 1897

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2921 reicher an Material der Erkenntnis wird; aber der Geiſt ſelbſt
iſt keineswegs ſchärfer und fähiger geworden.
All’ dies giebt den Beweis, daß es nicht nur feſte Geſetze
des Denkens, ſondern auch gewiſſe, feſtſtehende, allgemeine
Regeln der Geiſtesanſchauungen giebt, die ſeit Jahrtauſenden
in dem Menſchengeſchlechte nicht wechſeln, ſondern ihm eigen-
tümlich ſind und bleiben.
All’ dies deutet darauf hin, daß die
Natur dem Menſchengeiſt eine gewiſſe Richtung der Denkweiſe
gegeben hat, von der er nicht imſtande iſt abzuweichen.
Es giebt daher Überzeugungen, die der Menſch als
unumſtößliche, als ewige Wahrheiten anerkennt.
Jeder Menſch,
der z.
B. einmal den mathematiſchen Lehrſatz erkannt, daß
die drei Winkel eines Dreiecks gleich zweien rechten Winkeln
ſind, der wird in ſich fühlen, wie es unmöglich iſt, daß jemals
ein Menſchenverſtand dies als einen Irrtum wird darthun
können.
Die Wahrheit dieſes Satzes iſt ihm ſo feſt eingeprägt
und entſpricht ſo ganz und gar dem Denkvermögen des Geiſtes,
daß man ſich ganz unmöglich eine Vorſtellung machen kann
von Weſen, deren Geiſt andere Regeln des Denkens, mit anderen
Worten andere Denkformen habe und deshalb auf ein anderes
Reſultat des Denkens gelangen könne.
Es unterliegt daher keinem Zweifel, daß es ebenſo natur-
gemäße Regeln des Denkens giebt, wie es naturgemäße Regeln
für das Wachstum des menſchlichen Leibes giebt.
Dieſelbe Geſetz-
lichkeit, die es macht, daß das Gehirn des Menſchen ſo und
nicht anders gebaut iſt, dieſelbe Geſetzlichkeit zwingt das Gehirn,
ſo und nicht in anderer, in willkürlicher Weiſe zu denken.
Da
aber trotzdem die Gedanken der Menſchen außerordentlich von
einander abweichen, ſo iſt es klar, daß die Natur ihnen auch
in dieſer Beziehung nur die Neigung zum Richtigen gegeben,
jedoch eine Freiheit gelaſſen hat, innerhalb dieſer Neigungen
ihre Denkergabe zu benutzen.

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