Bernstein, Aaron, Naturwissenschaftliche Volksbücher, Bd. 17-21, 1897

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und Geſellſchaftszuſtandes und kann auch dort exiſtieren, wo ſich
die Kultur keineswegs eines hohen Grades erfreut.
In welchen Gegenſatz Kultur und Civiliſation zu einander
geraten können, davon giebt uns hiſtoriſch die Zeit der Griechen
ein recht ſchlagendes Beiſpiel.
In Kunſt und Wiſſenſchaft war
ſie in der Geſchichte der Menſchheit von ſo ſtrahlendem Glanze,
daß wir noch heutigen Tages ihre Kunſtwerke anſtaunen und
den Geiſt ihrer Denker und Forſcher bewundern.
Wodurch
aber wurde es möglich, daß ſich ausgezeichnete Talente und
Geiſter ganz der Kunſt und dem Wiſſen hingeben und ſich von
den Arbeiten freimachen konnten, welche des Lebens Notdurft
der geſamten Menſchheit auferlegt?
Es war dies nur dadurch
möglich, daß Staat und Geſellſchaft die Sklaverei für berech-
tigt hielt.
Der Sklave ſtand im Dienſte der niedrigſten Be-
dürfniſſe des Daſeins.
Ihm waren die Arbeiten zugewieſen,
welche den Leib erhalten, nicht aber die Geiſtespflege ermög-
lichen.
Und weil dem ſo war, vermochte ſich aus der höheren
Geſellſchaft der ſorgenloſe Geiſt emporzuſchwingen in den
Leiſtungen, die der Nation den Ruhm der kulturreichſten der
Welt errungen haben.
Hätte in Athen die volle Gleichberech-
tigung aller Bewohner geherrſcht, ſo hätte es auf ſeinen Kultur-
ruhm in der Mitwelt und in der Nachwelt Verzicht leiſten
müſſen.
Es hatte eine hohe Kultur, weil es keine Civiliſation
in dem richtigen Sinne des Wortes beſaß.
In einem gewiſſen Gegenſatz hierzu ſtand Sparta mit
ſeinem auf Gleichberechtigung der Bewohner begründeten Zu-
ſtand.
Es war dieſer Zuſtand der einer durch Geſetzesſtrenge
gebotenen Civiliſation, in welcher jedoch Kunſt und Wiſſenſchaft
faſt der Verachtung preisgegeben war.
Die Gleichheit hat die
Auszeichnung verhindert.
Mit Ausnahme der rigoriſtiſchen
Gleichheitsgeſetze hat es der Mitwelt und der Nachwelt nichts
hinterlaſſen, das ihm Ruhm verleiht.
Es war ein Vorbild der
Civiliſation ohne Kultur.

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